„Wie eine Insel der Wertschätzung“: So begleitet eine Pflegerin ihre Patienten auf ihrem letzten Weg
Bernau | „Was?! Du arbeitest im Hospiz?! Das könnte ich ja niemals!“ – diesen Satz hören viele Fachkräfte aus dem Palliativbereich, wenn sie von ihrem Beruf erzählen. Deshalb haben wir nachgefragt, was sie dazu bewogen hat. In dieser Serie geben fünf Pflegekräfte aus dem Chiemseehospiz berührende Einblicke in ihre Arbeit. Verena Kögl gibt im Interview Auskunft:
Pressemeldung im Wortlaut:
Frau Kögl, wie kommt man auf die Idee, in einem Hospiz zu arbeiten? Viele Menschen würden vermutlich einen möglichst großen Bogen um diesen Ort machen…
Ich habe in meiner Ausbildung zur Krankenschwester das Thema „Sterben und Tod“ in einer Klausur kennengelernt und wir haben einen Film über das Hospiz der Barmherzigen Brüder in München. Da dachte ich mir: „Wow, das ist genau, weshalb ich Krankenpflege machen möchte! Wenn man so pflegen kann, wie die Patienten es wollen und brauchen. Das hat mich damals so fasziniert, dass ich einen Grundkurs zu Sterben, Tod und Trauer im Hospizverein Rosenheim gemacht habe. Mir wurde klar, dass ich irgendwann mal in der Palliativpflege arbeiten möchte.
Ich habe die Belastung der Angehörigen im ambulanten Arbeiten miterlebt und wie viel Kraft die Pflege zuhause kostet. Manchmal können die Angehörigen nicht alles leisten, was am Lebensende gebraucht wird. Es ist schön, dabei mitwirken zu können, so eine strukturelle Versorgungslücke zu schließen. Das Hospiz ist dann wie eine Insel. Die Angehörigen können auch wieder nach Hause gehen und sich erholen, was zuhause eben nicht möglich ist. Das ist im stationären Umfeld schon deutlich entlastender!
Das Hospiz hat also ein Angebot gemacht, was vorher im Landkreis gefehlt hat. Können Sie denn noch etwas darüber berichten, was die Hospiz- bzw. Palliativarbeit von Ihren vorherigen Arbeitsumfeldern unterscheidet?
Palliative Care ist, wie ich immer arbeiten wollte! Was mich in der „normalen“ Krankenpflege oft an meine Grenzen gebracht hat, war, dass ich gemerkt habe, dass ich die Patienten nicht so begleiten kann, wie sie es brauchen würden. Der große Unterschied für mich ist die ganzheitliche Betreuung hier. Von Ganzheitlichkeit hört man viel, aber z.B. im ambulanten Pflegedienst wird nur ein Teil abgedeckt, entweder körperliche Beschwerden oder medizinische Probleme.
Ebenso im Krankenhaus. Hier im Hospiz sind auch spirituelle Aspekte wichtig und die Familien der Bewohner und nicht nur die Körperpflege. Es ist Raum für die Lebenssinnfrage und das ist der entscheidende Unterschied. Ich weiß nie, was auf mich zukommt! Jeder Tag und jede Situation mit den Bewohnern und den Angehörigen ist unterschiedlich und ich werde überrascht und habe Entwicklungen erlebt, die ich nicht erwartet hätte. In der Zusammenarbeit mit meinen Kollegen merke ich, dass jeder das Beste für die Bewohner will und bemüht ist, ihnen das zukommen zu lassen, was sie sich selbst wünschen.
Das ist eine besondere Atmosphäre, die man woanders nicht unbedingt hat! Auch die Vielseitigkeit in unserem Team finde ich wunderbar. Jeder Kollege hat verschiedene Schwerpunkte und wir können viel voneinander lernen.
Das klingt einerseits als Haltung für die Bewohner und ihre Familien sehr hilfreich, andererseits aber auch für das Personal nach erfüllenden Arbeitsbedingungen. Wie wird denn dieser „Hospizgedanke“ bei Ihnen praktisch umgesetzt?
Was für mich den Sinn unserer Arbeit widerspiegelt, sind die Gedenk- und Abschiedsfeiern, die wir regelmäßig machen. Wir verabschieden unsere Bewohner im gesamten Team. Das ist für alle berührend und auch wichtig: einmal Abstand vom Alltags- und Organisations-Wirrwarr zu nehmen und sich mit dem zu beschäftigen, warum wir hier sind. Das ist für mich genau, was die Arbeit hier ausmacht.
Sich Zeit für das Wesentliche zu nehmen, macht es rund. Die Arbeit zu reflektieren und noch einmal an jeden Bewohner zu denken – da kommt auch bei uns die Ganzheitlichkeit an! Die Menschen, die wir begleiten sind bei uns kein Name auf einem Holzschild. Rituale helfen uns, etwas loszulassen, was uns noch beschäftigt. Das ist für alle Mitarbeiter im Chiemseehospiz wichtig, egal aus welcher Abteilung. Auch unsere Gedenkfeiern mit den Angehörigen sind für mich unglaublich wertvoll und etwas Einzigartiges, was ich in der Form noch nirgendwo kennengelernt habe.
Ich bin dankbar dafür, dass wir das zusammen erleben dürfen. Vielleicht würden sich ein solches Miteinander auch andere Pflegende wünschen…
Einerseits geht es also um einen bestimmten Umgang im Team – aber wie ist es mit den Bewohnern? Können Sie uns die Hospizidee zum Beispiel an einer Situation aus Ihrer praktischen etwas mehr erläutern?
Hier habe ich zum ersten Mal einen Bewohner im Moment des Versterbens begleitet. Ich bin einfach dageblieben, habe gewartet, bis es so weit war und hatte trotzdem das Gefühl, ich kann ihm vermitteln, dass er nicht allein ist, auch wenn ich nur seine Hand gehalten und massiert habe.
Er war jemand, der früher Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen hatte. Deshalb war es besonders berührend, ihn „hinüberbegleiten“ zu dürfen. Einfach da zu sein. Ich saß an seinem Bett und er hat tief geschlafen und hat auch unruhig geatmet. Seine Atempausen wurden dann immer länger und dann ist er friedlich verstorben (Tränen in den Augen). Das war berührend und etwas Besonderes für mich. Ein sehr intimer Moment, der gleichzeitig leicht und entspannt war. Das vergesse ich nicht so schnell…
Das kann ich mir vorstellen, es muss sehr bewegend gewesen sein! Viele stellen sich die Arbeit im Hospiz als sehr schwer und belastend vor, wenn Sie erzählen, wirken Sie aber eher dankbar?
Absolut, denn das Hospiz ist ein Ort der Wertschätzung: Einerseits sind da die Bewohner, die so dankbar sind, dass sie bei uns sein dürfen. Die Angehörigen sowieso- der Dank und die Wertschätzung unserer Arbeit gegenüber, kommt oft zum Ausdruck! Andererseits gibt es zwischen den Mitarbeitern ein wertschätzendes Miteinander, zum Beispiel wenn die Köchin ein feines Mittagessen zaubert, sind die Kollegen voll des Lobes. Jeder hier bringt viel von seiner Persönlichkeit ein. Manchmal macht das die Zusammenarbeit auch etwas konfliktreicher. Jeder ist authentischer und es zeigen sich die persönlichen Eigenheiten jedes einzelnen.
Das gilt es dann zu kompensieren und die Konflikte auszutragen und zu lösen. Aber genau das macht ein gutes Miteinander aus – unpersönlich ist viel genug in dieser Welt.
Lesen sie HIER den Bericht online auf chiemgau24.de.
Text/Foto: © Chiemseehospiz (Pressemitteilung)