„Trotzdem so viel Leben da“ – ein Einblick in das Chiemseehospiz Bernau
Bernau | Im Chiemseehospiz Bernau werden Menschen betreut, die eine weit fortgeschrittene Erkrankung und eine begrenzte Lebenserwartung haben. Doch deshalb ist das Hospiz noch lange kein trauriger Ort, sondern einer mit lebensbejahender Grundhaltung und individueller Betreuung.
Auf der Schiefertafel neben seiner Zimmertür hat jemand mit Kreide einen lächelnden Schneemann gemalt. Hinter der Tür begrüßt Herr Schneeman ebenso lächelnd seine Besucher.
Seit Mitte Dezember ist er Bewohner in Zimmer 5 im Chiemseehospiz in Bernau. Die Holzwände duften ein wenig nach Wald, wenn die Wintersonne sie erwärmt, und im Regal stehen Gegenstände, die ihm viel bedeuten: ein Kissen, das mit einem Hochzeitsfoto seiner Tochter bedruckt ist, Bilder von seiner Familie, dem Hund Mikado und den Bergen und Kinderbücher, umrahmt von einer Lichterkette.
Seine Tochter Mandy hat Herrn Schneeman im Hospiz angemeldet. Zuvor kam sie persönlich, um sich das Haus anzusehen: „Meine Vorstellung von einem Hospiz war ein trauriger, dunkler Ort. Und dann war ich total geflashed von den positiven Menschen und dem vielen Licht dort!“.
Sie sind erleichtert, dass er hier sein kann. Daheim wäre es nicht mehr gegangen mit dem Krebs. Wenn morgens die Pflegekraft zum Waschen kommt, passiert es, dass Herr Schneeman aus seinem Leben erzählt, Spitznamen verteilt oder Tipps für das Tennistraining gibt – und Hund Mikado muss vorübergehend seinen Lieblingsplatz auf dem Bett aufgeben.
In Zimmer 5 herrscht zumeist ein reges Treiben: der Hausarzt kommt zur Visite, der Physiotherapeut zum Üben mit dem Theraband, die Seelsorgerin und Psychologin zum Gespräch, die Hauswirtschafterin fragt seine Essenswünsche ab, ein Sozialarbeiter berät zu rechtlichen Fragen. Ganz besonders sind jedoch die Besuche seiner Freunde und Verwandten. Zum Jahreswechsel kommt sogar seine Tochter aus den USA, die Vorfreude darauf trägt Herrn Schneemann durch die Wochen.
Durch die Glasfront des Zimmers hat man Blick auf die Kampenwand und der Winterwind weht ab und zu Schnee von den Bäumen am Waldrand. Einen besonders strahlenden Tag verbringt Herr Schneeman mit seinen Kindern auf der Terrasse vor dem Zimmer.
„Mir wurde nie widergespiegelt, dass es jetzt auf den Tod zugeht. ‚Warum sind wir da?‘ – dieses Gefühl hatte ich die meiste Zeit gar nicht. Es war eine ganz normale Atmosphäre und trotzdem so viel Leben da“, beschreibt seine Tochter ihre Zeit im Hospiz. Ihr Vater verfolgt die US-Wahlen, bekommt Anrufe von Freunden und Verwandten.
Die Familie plant gemeinsam für die Zeit nach seinem Versterben. Gespräche über Beerdigung und Trauerfeier finden statt. „Es war eine wahnsinnig intensive Zeit, in der ich noch einmal unglaublich viel über meinen Vater gelernt habe“, sagt Mandy. „Einerseits unglaublich traurig, und andererseits der Kontrast, die Berge, der Schnee, alles so normal“.
Herr Schneeman wird schwächer und nimmt schließlich keine Nahrung mehr zu sich. Seine Tochter verbringt immer mehr Zeit bei ihm, übernachtet teilweise im Zimmer. Es wird gebetet, geschwiegen, gelacht, geweint, gewartet, gehofft. Es sind anstrengende, intensive Nächte, sodass sie sich, durch Pflegekräfte ermutigt, zwischendurch zuhause eine Auszeit nimmt.
Mandy hat mit einer Pflegekraft ein kleines Ritual entwickelt, wenn sie sich von ihrem Vater verabschiedet, ein bewusster Abschiedsgruß, ein Kuss auf die Stirn.
Er verstirbt an einem strahlend sonnigen Nachmittag im Februar, während ihres Spaziergangs mit Mikado.
„Ich habe ihn dann so gefunden, erst einmal tief durchgeatmet und dann geläutet. Es war beruhigend, dann nicht allein zu sein. Es war immer jemand da, für ihn und mich“. Für Mandy nimmt die Achterbahn der Gefühle noch einmal Fahrt auf: „Aber das Tolle war, dass ich Zeit und Ruhe für den Abschied hatte“. Der Bestatter kommt erst am darauffolgenden Tag, danach machen seine Kinder einen Gedenkausflug an ihren Vater nach Maria Eck, einen seiner Lieblingsorte.
Die Erfahrungen der Familie Schneeman zeigen, was den Hospizgedanken ausmacht: eine lebensbejahende Grundhaltung, interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine Begleitung, die ganz individuell auf die Lebensqualität der Hospizgäste ausgerichtet ist. „Uns ist es wichtig, nicht nur für unsere Bewohner, sondern genauso für ihre Angehörigen und Freunde da zu sein“, erklärt die Hospizleitung Ruth Wiedemann. „Hinter jeder Tür unserer Zimmer wissen wir einen einzigartigen Menschen mit seiner ganz eigenen Geschichte und seinen Bedürfnissen“.
Aufgenommen werden können Menschen ab 17 Jahren, die eine weit fortgeschrittene Erkrankung und eine begrenzte Lebenserwartung haben. Weitere Voraussetzungen sind, dass sie über ihre Prognose aufgeklärt sind und eine Versorgung zuhause oder im Heim nicht oder nicht mehr möglich ist.
„Es erfolgt zunächst ein Anruf bei uns, ob ein Platz frei ist. Dann muss der einweisende Arzt eine Notwendigkeitsbescheinigung und der Betroffene bzw. sein Vertreter einen speziellen Antrag auf stationäre Hospizleistungen ausfüllen. Damit beantragen wir die Genehmigung bei der Krankenkasse.
Wenn alles im Vorfeld geklärt ist, kann der Einzug stattfinden“, so Wiedemann. „Den Bewohnern, die bei uns begleitet werden, entstehen keine Kosten. 95% der Kosten tragen Kranken- und Pflegekassen, der Rest wird vom Träger übernommen und die Finanzierung durch Spenden ergänzt. Wir wollen allen Menschen, die hier versorgt werden, ein sicheres Zuhause in ihrer letzten Lebensphase sein“.
Mandy formuliert es so: „Ich habe in den Wochen im Hospiz viel gelernt: dass ich so sein darf, wie ich bin und nur selbst weiß, wie ich diesen Weg gehen kann. Die Begleitung war wie Wind unter den Flügeln“.
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Text/Foto: © Chiemseehospiz (Pressemitteilung)